Schiffskurbelwelle auf Reisen
Verfasst: Mo 25. Dez 2023, 09:54
Vorwort
Nachdem unsere anlagenübergreifenden „Weihnachtsgeschichten“ sich schon zu einer kleinen Tradition entwickelt haben, stellte sich natürlich auch in diesem Jahr wieder die Frage, welche Fuhre es denn wohl werden sollte.
Nun hat uns die Hattinger Henrichshütte übers Jahr in einigen Projekten begleitet, wobei die Hochachtung vor diesem (heute leider historischen) Unternehmen bester deutsche Hochtechnologie stetig anwuchs. Hinzu kam, dass ich selbst 1976 vor dem Studium ein Betriebspraktikum auf den Hütte machen konnte und dabei die mechanische Bearbeitung einiger Schiffskurbelwellen für den dänischen Kunden Burmeister&Wain verfolgen durfte, was nachhaltig im Gedächtnis blieb.
Na, da war es doch, das Thema! Wir begleiten eine Kurbelwelle auf dem Weg in eine Hamburger Werft, wo sie als Herzstück eines Schiffsdiesels bei der Endmontage des Motors installiert wird.
Hamburg? Schon wieder Hamburg? Wird das nicht langsam langweilig? Nun, erstens wird ja niemand zum Lesen gezwungen. Und zweitens bietet die Reise dorthin und das Hafenumfeld noch viele neue Facetten, wie wir in den folgenden Teilen 2 und Teil 3 sehen werden.
Im Teil 4 gibt es dann noch ein paar Infos zum Kreis der beteiligten Menschen samt Ihrer Anlagen (und zum Spaß an der Sache
). An dieser Stelle jedoch schon einmal der selbstkritische Hinweis, dass wir vor lauter Begeisterung am Stahlwerksumfeld ein paar eisenbahntechnische Details etwas vernachlässigt haben, von der Ladungssicherung bis zur exakten Fahrplan-Historie. Aber wer weiß, vielleicht finden die einschlägigen Experten ja noch Unterlagen zum Laufweg, die wir nachträglich einbinden können.
Los geht´s!
Teil 1
Am späten Freitag-Nachmittag ist noch Licht in der Chefetage der Henrichshütte:
Hugo Rauterkus ist als Vertriebs-Direktor etwas nervös, weil noch ein mittelgroßer Auftrag fehlt, um das Quartals-Umsatzziel punktgenau zu erreichen. Er ist in der Runde seiner Geschäftsbereichs-Kollegen des Ruhrstahl-Konzerns bekannt für seine präzise zutreffenden Planungen und so wäre es ihm ziemlich unangenehm, angekündigte Zahlen nicht „zu liefern“. Bei der nächsten Zusammenkunft im Hütten-Casino gäbe es dann zu vorgerückter Stunde womöglich ein paar lästerliche Kommentare, das galt es zu verhindern…..
Fast hat er die Hoffnung aufgegeben, da rattert der Fernschreiber nebenan im Vorzimmer. Wie vor Wochen vereinbart, bestellt der treue dänische Kunde Burmeister&Wain aus Kopenhagen tatsächlich absprachegemäß noch eine Schiffskurbelwelle für eine 6-Zylinder-Dieselmaschine. Geht doch, auf die Jungs aus dem Norden kann man sich verlassen! Hugo steckt sich erstmal eine gute Zigarre an und diktiert seiner Sekretärin flott ein Antwort-Telex mit der Auftragsbestätigung.
Hier sehen wir die beiden Telexe (Ausgang Henrichshütte, Eingang Burmeister&Wain):
Und mit erreichtem Jahresumsatz kann die Weihnachtsfeier der Oberen im Casino dann da auch etwas üppiger ausfallen – Hugo bespricht die Details dazu rasch noch mit dem hauseigenen Maître de Cuisine …..
Burmeister & Wain A/S ist ein traditionsreicher Hersteller von Schiffsmotoren und baut in einer eigenen Werft obendrein vollständige Schiffe. In der Blütezeit der 1960er beschäftigt man rund 8000 Mitarbeiter und gilt als einer der führenden Schiffsmotorenbauer weltweit.
Hier zwei Links aus Wikipedia mit Bildern der Unternehmens-Zentrale in Kopenhagen und eines frühen 8-Zylinder-Schiffsdiesels:
https://commons.wikimedia.org/wiki/Cate ... r_1924.jpg)
https://commons.wikimedia.org/wiki/Cate ... ik_001.jpg
Für die Henrichshütte wiederum war der Schiffbau ein wichtiger Markt. Ein besonders Aushängeschild waren die geschmiedeten Kurbelwellen, bei denen man die energiesparende Fertigung „in einer Hitze“ voll ausreizen konnte: Hochofen, Stahlwerk, Brammenguss, Schmiedevorgang, Wärmebehandlung und auch die mechanische Bearbeitung waren am Standort möglich, was eine hohe Wirtschaftlichkeit, vor allem aber auch kurze und zuverlässige Lieferzeiten ermöglichte. Neben den Kurbelwellen wurden in Hattingen auch die aus Stahlblechen geschweißten Motorgehäuse hergestellt, darüber hinaus Propellerwellen, Propeller, Steven, Schiffbleche und andere Bauteile.
Nicht verwunderlich also, dass Burmeister&Wain gern auf die Spezialisten aus Deutschland zugriff, wenn man die Vorzüge eines Knowhow-Trägers nutzen wollte. Und die Qualität der hütteneigenen Casinos wurde auch und besonders von trinkfesten Kunden geschätzt….
Fünf Wochen später, der Schöpfungprozess der Kurbelwelle kann beginnen. Döst die Henrichshütten-Werklok des Typs Henschel DH500 Ca hier noch entspannt dem kommenden Einsatz in der Frühschicht entgegen, so ist sie kurze Zeit später bereits es mit zwei leeren Pfannenwagen zum Hochofen 3 unterwegs.
Nach dem Abstich wird das flüssige Eisen ins Stahlwerk geschoben.
Dort wird Schrott und Kalk zugegeben und mit einer Lanze reiner Sauerstoff eingeblasen, der den Kohlenstoff oxidiert. Durch Hinzumischen von Legierungselementen erreicht man dann ein die für die jewelige Anwendung nEigenschaften des Stahls, hierzu einige Links aus der unten aufgeführten Quelle:
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0012.jpg
Die zum Schmieden vorgesehene Stahlmenge wird dann zu Brammen gegossen ….
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0009.jpg
… und in den Schmiedepressen endabmesungsnah umgeformt:
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0029.jpg
Den Abschluss bildete dann die mechanische Bearbeitung in der mechanischen Werkstatt, für eine Kurbelwelle verfügte die Hütte über entsprechend große Drehmaschinen:
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0036.jpg
Das war‘s, die fertige Welle ist bereit zum Verpacken:
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0037.jpg
Die werkseigenen Kistenmacher haben alle bearbeiteten Flächen seefest geschützt, so kann es auf die Reise nach Hamburg gehen.
Werksfotograf Heinz Kämmerer macht ein letztes Foto der Welle - es wird ungeklärt bleiben, welche seltsamen Gäste ihn dabei begleiten….
Dass die Werkloks der Henrichshütte aus Kassel kamen, war übrigens kein Zufall, denn Henschel gehörte ebenfalls zu Rheinstahl-Konzern.
Auf geht’s, die Stangenlok schiebt den Flachwagen in den Übergabebahnhof zur Bundesbahn:
Er bildet den Zugschluss der heutigen Übergabe:
Eine Hagener V60 übernimmt den Transfer der die Fuhre zum Bahnhof Hattingen. Neben unserer Kurbelwelle sehen wir viele andere Fertigprodukte der Hütte. Gewöhnliche Rundstäbe gehören dazu, auch einige Druckbehälter aus dem Schweißbetrieb sind auszumachen.
Die Übergabe wird dann im DB-Bahnhof Hattingen in den Ng 8443 von Bochum-Dahlhausen zum Rangierbahnhof Hagen-Vorhalle eingereiht, der auf dem Weg dorthin an der Hütte vorbeifährt:
Noch einmal passiert die Kurbelwelle also den Ort ihrer Entstehung; im Vordergrund übrigens noch ein weiteres, eindrucksvolles Großritzel auf einem preußischen Tieflader.
Hier sehen wir die Fuhre auf dem Weg durchs idyllische Ruhrtal. Die einheimische Bevölkerung ist mit dem Anblick solcher Ladegüter vertraut, schließlich ist die Henrichshütte im Hattinger Raum nicht nur der größte Arbeitgeber, sondern allgegenwärtig, bis hin zum täglichen Staub auf der Fensterbank.
Soweit erste Teil, demnächst folgt die Fortsetzung Richtung Norden.
Bis dahin viele Grüße und besinnliche Rest-Weihnachtstage
Manfred
__________________________________________________________
Wissenwertes zur Henrichshütte: http://henrichshuette.otie.de/
Mitwirkende im ersten Teil in der Reihenfolge des Auftritts:
Andreas Priebe (Chefbüro im Eisenwerk Lendringsen)
Fred Sonnenrein (Telexe)
Frank Forsten (Anlage „Stahlbahn“)
Manfred Mitze (Anlage Schee-Silschede)
Nachdem unsere anlagenübergreifenden „Weihnachtsgeschichten“ sich schon zu einer kleinen Tradition entwickelt haben, stellte sich natürlich auch in diesem Jahr wieder die Frage, welche Fuhre es denn wohl werden sollte.
Nun hat uns die Hattinger Henrichshütte übers Jahr in einigen Projekten begleitet, wobei die Hochachtung vor diesem (heute leider historischen) Unternehmen bester deutsche Hochtechnologie stetig anwuchs. Hinzu kam, dass ich selbst 1976 vor dem Studium ein Betriebspraktikum auf den Hütte machen konnte und dabei die mechanische Bearbeitung einiger Schiffskurbelwellen für den dänischen Kunden Burmeister&Wain verfolgen durfte, was nachhaltig im Gedächtnis blieb.
Na, da war es doch, das Thema! Wir begleiten eine Kurbelwelle auf dem Weg in eine Hamburger Werft, wo sie als Herzstück eines Schiffsdiesels bei der Endmontage des Motors installiert wird.
Hamburg? Schon wieder Hamburg? Wird das nicht langsam langweilig? Nun, erstens wird ja niemand zum Lesen gezwungen. Und zweitens bietet die Reise dorthin und das Hafenumfeld noch viele neue Facetten, wie wir in den folgenden Teilen 2 und Teil 3 sehen werden.
Im Teil 4 gibt es dann noch ein paar Infos zum Kreis der beteiligten Menschen samt Ihrer Anlagen (und zum Spaß an der Sache
Los geht´s!
Teil 1
Am späten Freitag-Nachmittag ist noch Licht in der Chefetage der Henrichshütte:
Hugo Rauterkus ist als Vertriebs-Direktor etwas nervös, weil noch ein mittelgroßer Auftrag fehlt, um das Quartals-Umsatzziel punktgenau zu erreichen. Er ist in der Runde seiner Geschäftsbereichs-Kollegen des Ruhrstahl-Konzerns bekannt für seine präzise zutreffenden Planungen und so wäre es ihm ziemlich unangenehm, angekündigte Zahlen nicht „zu liefern“. Bei der nächsten Zusammenkunft im Hütten-Casino gäbe es dann zu vorgerückter Stunde womöglich ein paar lästerliche Kommentare, das galt es zu verhindern…..
Fast hat er die Hoffnung aufgegeben, da rattert der Fernschreiber nebenan im Vorzimmer. Wie vor Wochen vereinbart, bestellt der treue dänische Kunde Burmeister&Wain aus Kopenhagen tatsächlich absprachegemäß noch eine Schiffskurbelwelle für eine 6-Zylinder-Dieselmaschine. Geht doch, auf die Jungs aus dem Norden kann man sich verlassen! Hugo steckt sich erstmal eine gute Zigarre an und diktiert seiner Sekretärin flott ein Antwort-Telex mit der Auftragsbestätigung.
Hier sehen wir die beiden Telexe (Ausgang Henrichshütte, Eingang Burmeister&Wain):
Und mit erreichtem Jahresumsatz kann die Weihnachtsfeier der Oberen im Casino dann da auch etwas üppiger ausfallen – Hugo bespricht die Details dazu rasch noch mit dem hauseigenen Maître de Cuisine …..
Burmeister & Wain A/S ist ein traditionsreicher Hersteller von Schiffsmotoren und baut in einer eigenen Werft obendrein vollständige Schiffe. In der Blütezeit der 1960er beschäftigt man rund 8000 Mitarbeiter und gilt als einer der führenden Schiffsmotorenbauer weltweit.
Hier zwei Links aus Wikipedia mit Bildern der Unternehmens-Zentrale in Kopenhagen und eines frühen 8-Zylinder-Schiffsdiesels:
https://commons.wikimedia.org/wiki/Cate ... r_1924.jpg)
https://commons.wikimedia.org/wiki/Cate ... ik_001.jpg
Für die Henrichshütte wiederum war der Schiffbau ein wichtiger Markt. Ein besonders Aushängeschild waren die geschmiedeten Kurbelwellen, bei denen man die energiesparende Fertigung „in einer Hitze“ voll ausreizen konnte: Hochofen, Stahlwerk, Brammenguss, Schmiedevorgang, Wärmebehandlung und auch die mechanische Bearbeitung waren am Standort möglich, was eine hohe Wirtschaftlichkeit, vor allem aber auch kurze und zuverlässige Lieferzeiten ermöglichte. Neben den Kurbelwellen wurden in Hattingen auch die aus Stahlblechen geschweißten Motorgehäuse hergestellt, darüber hinaus Propellerwellen, Propeller, Steven, Schiffbleche und andere Bauteile.
Nicht verwunderlich also, dass Burmeister&Wain gern auf die Spezialisten aus Deutschland zugriff, wenn man die Vorzüge eines Knowhow-Trägers nutzen wollte. Und die Qualität der hütteneigenen Casinos wurde auch und besonders von trinkfesten Kunden geschätzt….
Fünf Wochen später, der Schöpfungprozess der Kurbelwelle kann beginnen. Döst die Henrichshütten-Werklok des Typs Henschel DH500 Ca hier noch entspannt dem kommenden Einsatz in der Frühschicht entgegen, so ist sie kurze Zeit später bereits es mit zwei leeren Pfannenwagen zum Hochofen 3 unterwegs.
Nach dem Abstich wird das flüssige Eisen ins Stahlwerk geschoben.
Dort wird Schrott und Kalk zugegeben und mit einer Lanze reiner Sauerstoff eingeblasen, der den Kohlenstoff oxidiert. Durch Hinzumischen von Legierungselementen erreicht man dann ein die für die jewelige Anwendung nEigenschaften des Stahls, hierzu einige Links aus der unten aufgeführten Quelle:
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0012.jpg
Die zum Schmieden vorgesehene Stahlmenge wird dann zu Brammen gegossen ….
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0009.jpg
… und in den Schmiedepressen endabmesungsnah umgeformt:
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0029.jpg
Den Abschluss bildete dann die mechanische Bearbeitung in der mechanischen Werkstatt, für eine Kurbelwelle verfügte die Hütte über entsprechend große Drehmaschinen:
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0036.jpg
Das war‘s, die fertige Welle ist bereit zum Verpacken:
http://www.webseitenwartung.de/henrichs ... hh0037.jpg
Die werkseigenen Kistenmacher haben alle bearbeiteten Flächen seefest geschützt, so kann es auf die Reise nach Hamburg gehen.
Werksfotograf Heinz Kämmerer macht ein letztes Foto der Welle - es wird ungeklärt bleiben, welche seltsamen Gäste ihn dabei begleiten….
Dass die Werkloks der Henrichshütte aus Kassel kamen, war übrigens kein Zufall, denn Henschel gehörte ebenfalls zu Rheinstahl-Konzern.
Auf geht’s, die Stangenlok schiebt den Flachwagen in den Übergabebahnhof zur Bundesbahn:
Er bildet den Zugschluss der heutigen Übergabe:
Eine Hagener V60 übernimmt den Transfer der die Fuhre zum Bahnhof Hattingen. Neben unserer Kurbelwelle sehen wir viele andere Fertigprodukte der Hütte. Gewöhnliche Rundstäbe gehören dazu, auch einige Druckbehälter aus dem Schweißbetrieb sind auszumachen.
Die Übergabe wird dann im DB-Bahnhof Hattingen in den Ng 8443 von Bochum-Dahlhausen zum Rangierbahnhof Hagen-Vorhalle eingereiht, der auf dem Weg dorthin an der Hütte vorbeifährt:
Noch einmal passiert die Kurbelwelle also den Ort ihrer Entstehung; im Vordergrund übrigens noch ein weiteres, eindrucksvolles Großritzel auf einem preußischen Tieflader.
Hier sehen wir die Fuhre auf dem Weg durchs idyllische Ruhrtal. Die einheimische Bevölkerung ist mit dem Anblick solcher Ladegüter vertraut, schließlich ist die Henrichshütte im Hattinger Raum nicht nur der größte Arbeitgeber, sondern allgegenwärtig, bis hin zum täglichen Staub auf der Fensterbank.
Soweit erste Teil, demnächst folgt die Fortsetzung Richtung Norden.
Bis dahin viele Grüße und besinnliche Rest-Weihnachtstage
Manfred
__________________________________________________________
Wissenwertes zur Henrichshütte: http://henrichshuette.otie.de/
Mitwirkende im ersten Teil in der Reihenfolge des Auftritts:
Andreas Priebe (Chefbüro im Eisenwerk Lendringsen)
Fred Sonnenrein (Telexe)
Frank Forsten (Anlage „Stahlbahn“)
Manfred Mitze (Anlage Schee-Silschede)